»Machet euch die Erde untertan«

Oder: Warum ich über Technik schreibe

Damals, im Paradies, waren die Zeiten noch harmonischer, besonders vor dem Sündenfall. Der passierte bekanntlich, weil das junge Paar unbedingt wissen wollte, was gut und was böse ist! Hinterher wurden ihnen die Augen geöffnet. Doch außer Sex sahen sie nichts, schon gar nicht, was gut und was schlecht ist. Das wissen wir bis heute noch nicht. Da hätte ich Philosoph werden sollen ...

Ich bin aber Techniker geworden, Nachrichtentechniker mit Computerhang (Diplomarbeit 1968 ein Exapt-Compiler). Meine sonstigen Erfindungen (wie das Überlisten deutscher Telefonstecker mittels Lametta) fielen nie in die Kategorie ›ethisch relevant‹. Gottseidank!

Ich war reproduktiv tätig. Öffnend. Und das kam so: In meiner Jugend waren Telefonapparate unten verplombt. Man durfte sie nicht aufmachen. Heute weiß ich, daß nichts weiter Gefährliches drinsteckte, nur so nsi-, nsr- und nsa-Kontakte nebst einem Gabelumschalter. Ich habe versucht, das zu verstehen, und dafür jedes Gerät aufgemacht, dessen ich habhaft werden konnte. Noch heute reise ich nur mit Schraubenzieher und Gaslötkolben neben Zahnbürste und Lötzinn. Dabei fand ich, daß Technik, besonders wenn sie gut ist, sehr einfach ist. Ich lernte, daß Technik nicht bloß Blech und Brücken (vulgo Jumper), Mutterplatinen (vulgo Motherboards) und Metallhydridakkumulatoren ist, sondern viel mehr im alten Sinn das Gewußt-Wie, das elegante So-wird’s-besser-Gemacht. Technik des Hochsprungs: Der wird heute rückwärts erledigt, wir scherten oder rollten noch über die Latte.

Der technische Fortschritt ist immer dasselbe, nur einfacher. Manchmal gibt es auch Neues. Nimmt man nicht gerade Paragleiten, Bungee-Springen oder Format C:, dann ist neue Technik harmloser als man denkt. Man muß sie sich aber vorstellen können, muß sich im Kopf ein Modell machen können von dem, was da draußen passiert oder da drinnen in dem kleinen Dingsda. Wenn der Föhn plötzlich streikt, war dann vielleicht eine Überhitzsicherung drin? Und kühlt die von selbst wieder ab, oder muß ich mehr als nur warten? Weiß man’s, dann bekommt man den nötigen Respekt vor der Technik. Das heißt meistens: keinen. Ein Elektroepilierer ist ja nicht die Entwicklung von Jahrtausenden natürlicher Evolution, ein Druckertreiber keine Ausgeburt mühsamer Mendelscher Kreuzungen, obwohl er raubkopiert, also geklont sein kann. Diese ganze Technik ist von Menschen gemacht, die sich dabei irgendetwas gedacht haben, einmal mehr, einmal recht weniger.

Warum also sollte man Technik nicht verstehen?

Was technisch passiert, das kann man mit ein bißchen Ursache-Wirkungs-Kausalität beschreiben. Kommt noch menschliches Einfühlungsvermögen dazu, Psychologie, so kann man sogar Software »debuggen«, was ich jahrelang getan habe: Die Würmer aus Programmen ziehen. Dann ist mir das zu dumm geworden. Ich merkte, daß ich das Bild, das ich mir von einer Sache machte, nachdem ich sie von hundert unpraktischen Seiten her angesehen hatte, besonders von innen, daß dieses Bild andere gerne sehen mögen, vor allem: daß sie’s überhaupt sehen können. Ich beschreibe, wie’s (drin) ist, nur nicht so, wie man sich das vorstellt, sondern möglichst einfacher, besser, merkbarer. Das ist dann meine Technik des Schreibens.

Keiner soll unnötig Angst haben vor Technik. Dazu muß man sie kennen. Einen Toaster braucht man nicht immer wieder mit dem Netzstecker abzuziehen, ein elektrisches Waffeleisen schon. Und als ein telekomischer T-Punkt-Berater einer alten Dame erklärte, daß sie ihr neues Handy erst einschalten müsse, da war sie sehr verwundert. Ihr Telefon schalte sie ja auch nicht ein. (Man hätte ihr das Handy eingeschaltet schenken sollen!)

Technik umgibt uns heute wie Adam, Eva, Kain und Abel damals Flora und Fauna umgeben hatten. Unser Urwald ist das Internet, Links die Lianen. Dabei ist alles bloß Menschenwerk. Das muß doch zu verstehen sein! Mehr noch: das muß zu beherrschen sein! Wir lernen in der Schule nicht mehr die Blütenformel des Gänseblümchens, sondern wie man SMS-Nachrichten schickt, das ist »in«. Wir können das, wir beherrschen das.

Unsere Umwelt ist Technik. Wenn ich darüber schreibe, wenn ich die (elektromagnetischen) Geister banne, die da walten, dann mache ich mir meine Erde untertan, und wenn’s nur Silizium ist.

Vor einem hüte ich mich: alles wissen zu wollen, einzudringen in die Tiefen bis hinunter zum kreiselnden Elektron. Ich möchte immer ein bißchen mehr wissen, nie alles. Denn diese Wissenschaft macht jedes einfache Bild, jedes Modell zunichte, und – biblisch gesehen – ist genau das der Sündenfall. Wir werden’s nie ergründen. Aber ein wenig wissen, wie’s geht, das schon!

Fritz Jörn

Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan und herrschet über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über alles Getier, das auf Erden kriecht.
1. Moses 1,28, englisch

scientes bonum et malum – schön in Theodor Storm, Waldwinkel und natürlich im Faust, Studierzimmer 2048: Eritis sicut Deus, scientes bonum et malum.

Dubitando enim ad inquisitionem venimus.
Inquirendo autem veritatem percipimus.

                        Peter Abælard (1079-1142), Sic et Non (deutsch hier).
   Frech übersetzt:
Zweifelnd fragen wir nach – fragend finden wir dann die Wahrheit.
Siehe auch meinen Sprachtipp »Was uns Abælard lehrt«

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