Du oder Sie?

Die Frage hat mich Älteren schon immer gepeinigt: Wann ist man gefällig per Du, wann gefälligst per Sie? Im Büro herrscht freundhöfliches Durcheinander, draußen duzen sich CB-Funker, Gewerkschaftler und ehemalige Mitschüler selbst niederer Klassen; andere Autofahrer spricht man im Schutz seiner Scheibe deftig mit Du an, außerhalb mit Sie.

Deutsche Demoskopen haben ausfindig gemacht, daß die Zahl derer, die »eher länger« vom Sie zum Du brauchen, in den letzten zwanzig Jahren von 41 auf 35 Prozent sank, und die Zahl schneller Duzer von 25 auf 34 Prozent stieg. Junge (16 bis 29) duzen zu 59 Prozent lieber schnell. Diese Quote sinkt in der Altersgruppe bis 44 auf 40 Prozent, in der bis 59 auf 24 Prozent und bei den über Sechzigjährigen auf 14 Prozent.

Mehr als die Hälfte, ganze 53 Prozent der Befragten, duzen alle oder die meisten ihrer Arbeitskollegen, weitere 28 Prozent einen Teil. »In der SPD, bei den Grünen, in der PDS und in den Gewerkschaften ist das Du die Norm.«

Diesem Du sind jetzt Helmut Glück und Kristine Koch wissenschaftlich nachgegangen. In ihrem Artikel »Du oder Sie, Anredekonventionen in Deutschland und in anderen Ländern« erzählen sie von Duzsprachen wie dem Englischen (samt dem Kohl-Witz, wo er Reagan das Du anbietet: “You can say you to me, Ronald!”), vom asymmetrischen Du der Herablassung, gern gegen Ausländer genutzt, aber auch vom »hanseatischen Sie« (Sie Franz), vom Talk-Show-Du (Du, Franz), vom »Münchner Du« (Du, Frau Huber), vom »Skilehrer-Du« (Ja mei, Fränzi), nicht aber vom Cebit-Sie (Sie, Elektriker). »Auch Tiere und unbelebte Gegenstände werden geduzt. Das kommt beispielsweise bei Schiffstaufen vor oder dann, wenn Menschen mit Haustieren oder Kleincomputern sprechen.«

Wenn Sie den Artikel ganz lesen möchten, dann bestellen Sie sich doch die Zeitschrift »der Sprachdienst« (’s ist in Nummer 1/98) von der Gesellschaft für deutsche Sprache, Fax an 0611-99955-30; Einzelheft 10 Mark, Jahresabbo 60 plus Versandkosten, Mitgliedschaft 70 Mark, Ermäßigungen für neue Bundesländerer.

Eine kleine Glosse zu Thema konnte und kann ich mir nicht verkneifen.
Sie ist [leicht gekürzt] am 4. März 1997 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschienen:

Die Du-Grenze

fj. Die Du-Grenze liegt bei rund dreißig Jahren menschlichen Alters, Tendenz steigend. [Unterhalb ist das Du-Land, oberhalb die vereinigten Sie- und Du-Sie-Länder. Besonders das Du-Sie-Land lebt in diplomatischer Ansprechlosigkeit, oft als Schüchternheit getarnt. Denn da weiß wirklich keiner mehr, wie er den anderen ansprechen soll, und redet um das heiße Personalpronomen herum.] Per Du, per Sie? Sprechen wir gar nicht von der in größeren Höhen verlaufenden Sie-Ihr-Grenze. Die liegt etwa bei fünfzig und wird von vielen gar nicht mehr wahrgenommen: Unsere Coram-publico-Ansprache ist »ihr« geworden. Besonders bei E-mail (und nicht nur im CB-Funk) scheiden sich die Geister, sehen sich doch die Alt- und Neu-E-Postler (noch) nicht ins Auge. Ganz Schlaue [Gefinkelte] e-mailen daher nur in englisch, einfach “dear Bill” und “you”. [Deutsche Sprache, schweres Sie!] In unserem Palmtop-Adreßbuch tragen wir uns hinter die E-mail stets »Du« oder »Sie« ein – das hat dazu geführt, daß wir unlängst einen jungen Künstler zum Essen einladen mußten, weil er sich so geehrt fühlte, daß wir ihm das Du angeboten hatten. [Jetzt sind wir auch außerhalb der virtuellen Realität mit diesem Volker Schmid per Du, so wie mit Dr. Raymond Wiseman (klassisches Du), mit Jörg Schieb (berufliches Du), Dr. Jürgen Feldmann (jugendliches Du) und inzwischen sogar mit der allzuselten gesehenen Frau Dr. Karin Frank-Cyrus, die jahrelang mit »Sie mich du, ich sie Sie« im elektrischen Büchlein stand. Denn] mit Frauen ist das Du-Sie-Dilemma eher noch schlimmer. Wer möchte da anzüglich erscheinen, selbst wenn alle anderen im Büro duzen? Eine Kollegin ist schon mal eine Du, eine Mitarbeiterin nie! Liebe alte Bekannte aus der Nur-Sie-Zeit sind ewig »Sie« geblieben, obwohl doch längst »Uwe« leichter von der Zunge käme als »Herr Kuckelmann«. [(Seit dieser Glosse sind wir per Du.) Zuletzt: Der Weg vom Sie zum Du ist in Deutschland Einbahnstraße. Nur in besseren Kundenbesprechungen darf und sollte wieder zurück-gesiezt werden, damit der Laden nicht zu locker erscheint.] Im Zeitalter der Du-Sie-Relation wird dem ohnehin überforderten Namensgedächtnis (das unsere stammt aus dem Land der Universalansprache mit »Herr Ingenieur«) allzuviel abgefordert: neben dem Familiennamen der Vorname und – ein weiteres Bit – »Du« oder »Sie«. Wie es euch gefällt, oder Ihnen? Oder dir?

– Soweit die Glosse. Jetzt zwei Szenen aus ursprünglich italienischen Fotoromanen, wie sie sich in Deutschland vermutlich nicht abspielen würden:

Der junge Modedesigner Roger Fehrenberg (Gianni Vannicola) bietet »Fräulein« Winnie Rauhenberg (Antonella) das Du an: »Ich will Ihnen gerne beweisen, wie sehr ich Sie schätze. Ich biete Ihnen das Du an – wie meinen anderen engen Mitarbeitern auch. Ich bin Roger ...«. Aus dem Roman »Meine Liebe verlangt nach dir« von Stefano Reda, Daniela N° 42, Ehapa-Verlag, aus den achtziger Jahren.

vouvoyer

 

  « Que dirais-tu de sortir avec moi, ce soir? Si tu me dis à quelle heure tu finis ... », meint forsch Jean-Charles (dargestellt von Alain Blondeau). Dagegen Anne-Sophie (Antonella): « Qu’en diriez-vous de me vouvoyer, ‹monsieur›? », denn sie möchte gesiezt werden. Am Ende aber kriegen sie sich doch. Aus: Etoile d’ amour, Annee XXVI Nr. 306, © Lancio Films 1985

Mehr über Fotoromane auf http://topilio.interfree.it
Zu Fotoromanen siehe auch Sprachtip ›Jena‹.
Fritz@Joern.Dewww.Joern.De – ©Fritz Jörn MIM
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