Großbuchstaben

Hier geht es wieder einmal um Versalien, um Großbuchstabenschreibung.

Großbuchstaben sind ein Vorzug deutscher Texte: Vorteil für den Leser, der den Text so schneller erfassen kann, aber Mühe für den Schreibenden, der bei der Groß- und Kleinschreibung gelegentlich irrt. Schrift ganz in Klein- oder ganz in Großbuchstaben ist »entropiereicher«, zu schreiben vielleicht bequemer, aber schlechter zu lesen. Unterschiede beleben! Mit Bezug oder in bezug auf Großbuchstaben muß aber nicht immer alles stimmen, solange nicht das »kind mit dem bade« ausgeschüttet wird, und gleich alles kleingeschreiben wird. Ein Segen, daß uns das die Rechtschreibreform, die das ursprünglich wollte, nicht gebracht hat!

Überhaupt ist das Gute an der Reform das, was sie nicht reformiert hat: Wir schreiben nicht nur immer noch groß und klein, wir lassen immer noch zusammengesetzte Wörter dank Bindestrichen als solche erkennen (Zehn-Pfennig-Gespräch), wir werden immer noch kein Auslassungszeichen, keinen Apostroph in den Genitiv einfügen müssen (Marthas Mann wir nicht zu Martha’s Mann), Großbuchstaben innerhalb von Wörtern sind unzulässig (siehe Sprachtip Binnen-I), nach wie vor, um wieder auf das Thema zu kommen.

Diese Marktingtricks, die AppleTalk oder DaimlerChrysler besonders auffallen lassen wollen, werden von ordentlichen Berichterstattern nicht mitgemacht. Da wird Apple-Talk höchstens zu Appletalk und DaimlerChrysler immer zu Daimler-Chrysler, zu dem zusammengesetzten Wort, das es ist. Auch kinkige Kleinschreibung von Markennamen, eine Mode der späten Siebziger, ist out. debis sieht, besonders am Satzanfang, einfach dumm aus, genauso debitel. Gute Zeitungen machen da nicht mit, und gute Markenmanager auch nicht mehr. Sogar die DeTeMobil hat sich – orthographisch richtig – in T-Mobil umbenannt.

Großbuchstaben führen das Auge, sie sollen es aber nicht verführen: Ein einziger Großbuchstabe genügt vorn in Fortran, in Cobol oder Basic, in Lkw und in Unix, in Risc, Wysiwyg und in der Worm- oder Raid-Technik, neuerdings sogar in der Unhcr. Spricht man eine Abkürzung Buchstabe für Buchstabe, und ist das Wort noch nicht so gebräuchlich wie ein Pkw, dann kann man's versal setzen, IBM, BASF oder MS-Dos schreiben. Das ist zwar nicht schön, aber üblich und hält den Leser an, das Wort zu Ih-be-emm, Be-a-es-eff oder Em-es-dos zu dehnen.

Im Streit zwischen einem schönen Schriftsatz, der es mehr dem Leser überläßt, wo er sein Auge hinwendet als zufälligen, marktschreierischen Großbuchstabenhäufungen wie bei ISDN empfehle ich:
Erstens möglichst wenig Versalschreibung.
Und zweitens, und wenn schon, dann bitte Kapitälchen, das sind die kleinen, extra geformten Großbuchstaben, deren gefällige Wirkung hier nur durch Kleinersetzen gezeigt werden kann. ISDN steht dann dezenter da, ebenso jeder PC, sogar die UNICEF, wobei ich die ohnehin immer Unicef schreibe.

Sie sollten Zeitungen aus dem Land des Designs, des Stils und der Mode lesen: Italiener schreiben eiskalt Uno, Cdu, Pci und gewiß auch Isdn, wenn überhaupt.

Zur Entropie: »Vorgänge, bei denen die Entropie zunimmt, verlaufen von selbst, können aber nicht ohne anderweitigen Aufwand von Energie rückgängig gemacht werden.« (Brockhaus, Naturwissenschaften und Technik) Das besagt, daß es zwar leicht ist, unkorrekt zu schreiben, eine spätere Korrektur der Groß- und Kleinschreibung jedoch mühsam wird ...

Majuskeln ist übrigens eine alte Bezeichnung für Versalien. Und Gemeine, das sind Kleinbuchstaben beim Fachmann. Eine Initiale ist der über ein paar Zeilen gehende große Anfangsbuchstabe eines Absatzes. Kapitälchen gibts in MS-Word unter Format, Zeichen, Effekte.

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P.S. Die Gebrüder Grimm haben konsequent klein geschrieben. Hier als Beispiel die Eintragung »Page« im Grimmschen Wörterbuch, das es dankenswerterweise inzwischen online gibt. Page war schon damals ein Fremdwort:
PAGE [Lfg. 13,8], m. (bei STIELER 903, LUDWIG 1378 der aussprache gemäsz pasche geschrieben) das franz. page (DIEZ4 232), edelknabe, junger adelicher zur bedienung fürstlicher personen: page, so vor die tafel aufwartet. SCHUPPIUS 107; mein page hatte nit weit zu gehen. ELIS. CHARL. (1879) 229; der könig sprachs, der page lief. GÖTHE 1, 178;