Mengenlehre für Schreiber:

›Randscharf‹ oder treffend? Allgemein oder speziell?

Was man sagt, das kann man treffend oder umfassend und damit scheinbar ganz genau sagen. Treffendes ist trefflich zu lesen, das Genaue gerät gerne ein wenig trocken, abstrakt:

Wörter und Ausdrücke, ganze Floskeln und Beschreibungen sind stets Abstraktionen der Wirklichkeit, Bilder, die wir uns (und den Lesern) machen. Das sprachliche Bild soll möglichst gut das beschreiben, was wir sagen wollen, soll Gedanken (und Gefühle) übertragen.

Eine gute Beschreibung kann entweder so umfassend und genau sein, daß die Menge des Gemeinten im Begriff präzise enthalten ist, nicht weniger und nicht mehr. »Wasserpflanzen« ist so ein Beispiel. Da ist der Rand des Begriffs scharf abgegrenzt, endet sozusagen am Teichrand. Ich nenne das »randscharf«.Wenn es um Verbote und Verträge geht, dann mag das so nötig sein, dann ist eben das »Betreten der Wasserfläche untersagt«. Die ganze Fläche ist gemeint, wie im Schulbuch die umrandete Menge. Und trotzdem wird im Winter wer aufs Eis gehen, denn Eis ist nicht Wasser - oder doch?

Meist fallen wirklich umfassende Ausdrücke total abstrakt aus, ja, man muß für das »System« oder die »Lösung« ein ganz neues Wort erfinden. Technik macht's möglich, daß bisher nicht dagewesene Kombinationen in einem »Ding« zusammenkommen. Dann möchten die Macher und Erfinder das mit einem ganz neuen Ausdruck benennen. Sie müssen sich fragen: Schaffen sie es, einen neuen Ausdruck zu schaffen? Bei Viagra ist das gelungen - selbst da nur mit viel Werbung und Öffentlichkeitsarbeit. Andere Ausdrücke, vor allem mühsame Übersetzungen oder schwammige Allerweltsbezeichnungen bleiben - obwohl sie scheinbar die ganze Sache beschreiben - zuletzt ungreifbar, unverständlich, unvorstellbar. So bezeichnet Telesec, eine Telekom-Tochter, in einer Anleitung für Laien Software als »Anwendungskomponente«. Das könnte genausogut ein Badesalz sein, ist aber ein braves, halb deutsches Wort! Deutsche Telefonstecker heißen Telekommunikationsendeinrichtungen, TAE-Stecker. Was Wunder, daß die amerikanischen Western-Stecker beliebter sind.

Normalerweise ist eine gute Beschreibung nicht »randscharf« sondern treffend! Das Typische einer Sache, eines Geschehens wird gezielt gezeigt. Ist das Ding erst einmal an einem Teil richtig erkannt, dann kann jeder sich das Drumherum selbst denken. Er packt das Ding am Griff und hat's begriffen, statt es mühsam zu handhaben. Lilien auf dem Felde, die sieht man vor Augen, Gewächse auf Grundstücken nicht.

Bei Menschen und Computern, mit denen wir es zu tun haben, ist das nicht viel anders. Jeder ›Lehrling‹ ist klarer als sein auszubildendes Gegenstück, der oder die ›Azubi‹; und ein ›Rechner‹ vielleicht weniger pompös als ein ›Computersystem‹, doch dasselbe. Überhaupt: ›System‹. Der Zusatz ›-system‹ weitet jeden Begriff völlig farblos soweit aus, daß sich jeder jedes nur erdenklich Schöne und Gute darunter vorstellen kann.

Nochmal: Scheinbare »Randschärfe« des Begriffs wird zum Betrug am Leser, der weder den Hauptzweck der jeweiligen Geschichte mitbekommt, noch eine konkrete Abgrenzung dazu. Ein gut gewähltes Beispiel sagt mehr als die perfekte Vollkommenheit.

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