Lasst Worte sprechen – aber regt euch nicht über die Wörter auf.

Sprachtipp Stil

Da lese ich die »Wiener Sprachblätter«, teils Fraktur-, teils gewohnt in Antiqua gesetzt, voller widersprüchlicher Beiträge oder solcher, die mich reizen zu Widerspruch, und doch mit ungeahnten Trouvaillien aufwartend, etwa über ins Russische übernommene deutsche Ausdrücke (geschefty, jarmarka) oder über die Entwicklung des Paragraphzeichens seit den alten Griechen.
   Diese Wiener Sprachblätter
(wunderschön im Netz) liegen tendenziös zwischen dem spröden »Sprachdienst« der Wiesbadener Gesellschaft für deutsche Sprache und dem aktivistischen »Verein Deutsche Sprache« (deutsch da protzig groß geschrieben!), einstmals »Verein zur Wahrung der deutschen Sprache«. Soviel zur Anregung.
   Nun zur Sache.
   Statt sich immer wieder an einzelnen Wörtern zu echauffieren, etwa Fremdwörtern, die je nach Ebene und Adressat eines Textes gute Dienste leisten, möge man doch bitte auf den Stil achten. Ich gebe zu, das macht mehr Mühe. Außerdem ist es nicht so leicht zu vermitteln. Dass bei elektronischer Post der Ausdruck »Weltnetz« fürs Internet einfach nur lächerlich ist wie der sel. Vierkopfzerknalltreibling für des Autos Motor, das ist schnell gesagt. Auch »E-Post« wirkt auf Anhieb ironisch.
   Wenn sich in vielen Sprachen aber »Sinn haben« wandelt zu »
Sinn machen«, dann fällt das nur wenigen auf, und wenn, so bedauern sies und schieben es Amerika in die Schuhe.
   Man muss die Sprache im Kopf sehen. Und da oben scheinen heute eben Macher gefragter als Denker.
   Man muss sich Sprache vorstellen, bildlich.
   Wenn (auch die Wiener Sprachblätter) immer wieder von »in deutsch« (noch dazu klein geschrieben) reden, dann bilde man sich das ab im Hirnkastl: Ja, man schreibt in ein Heft, aber nicht »in Deutsch«, obwohls der Duden längst so erlaubt. Gemeint ist bloß deutsch: Ich schreibe deutsch. Punktum.
   Ein anderes Beispiel: pro. Prosit, das kennt man: es sei wohl(bekömmlich). Pro patria mori – schon viel weniger. Pro Juventute – das gern. Aber: pro Tag, pro Tasse, pro Kuh? Da sollte von jeher »je« stehen: je Tag oder täglich, je Tasse, je Kuh. Hundert Kilometer pro Stunde sind schlicht hundert Kilometer in der Stunde, oder von mir aus: hundert Stundenkilometer. Stammt pro zwar nicht aus dem Amerikanischen, unschön isses dennoch, wenn es nicht als »für« sondern als »je« genutzt wird.
   Und so könnte ich fortfahren mit Stilkleinigkeiten, vom zu spät im Satz gesetzten rückbezüglichen Fürwort »sich« bis zu unnötig langen Satzrahmen, etwa, wenn einer was mit viel dazwischen an hat brennen lassen statt es schnell und wohlverbunden anzubrennen.
   Sprache muss klingen. Wörter sind Perlen, sie müssen gemeinsam glänzen, durch die Hand gleiten. Sprache braucht Rhythmus. Die Gebrüder Grimm kannten das, Bert Brecht, Thomas Mann – ja, eigentlich alle, die lang lesenswert bleiben – die Bibel, Karl Valentin. Dagegen ist der heute in weiten Bereichen (bläh) vorherrschende Nominalstil akademischer Prägung ein Graus – und keiner merkts, weils grad so viel hermacht. Die Öffnung der Sprache hin zu Anglizismen – da hat wirklich wer »was offen«! Öffnen wir uns der Vielfalt, lassen wir Sprache und Sprachen – auch andere – auf uns wirken. Freuen wir uns über neue Variationen und kesse Werbesprüche. Sprache ist Wiese, nicht Stengel für Stengel, pardon Stängel für Stängel. Egal. Wirklich.

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23. 12. 5